Kategorien
Psychoaktive Substanzen Specials

Special Tabak: Smoke gets in your eyes

Zigaretten, Zusatzstoffe, Nikotin, freies Nikotin /

HanfBlatt, Juli/August 2005

Smoke gets in your eyes

Optimierte Nikotinanfluter: Industrie-Zigaretten und deren Zusatzstoffe

Jörg Auf dem Hövel

Was heutzutage von Maschinen zu einer Standard-Zigarette eingewickelt wird verdient des Namen „Tabak“ nicht mehr. Das pflanzliche Grundmaterial, die Blätter der seit Jahrtausenden genutzten Tabakpflanze, dient nur noch als hellbrauner Träger für einen bunten Cocktail aus Substanzen, mit denen die Zigaretten-Herstellern ein bestimmtes Geschmacks- und Wirkungsspektrum erreichen wollen. Schon ein hochwertiger Tabak wie der für kubanische Zigarren wird in einer Lauge getränkt, um das Kraut für den Connaisseur überhaupt genießbar zu machen. Kaum jemand würde getrockneten Tabak anzünden und dessen Verbrennungsprodukt in die Lungen gelangen lassen, wenn er nicht vorher einer subtilen chemischen Behandlung unterzogen worden wäre. Die moderne Zigarettenindustrie hat dieses Verfahren so weit verfeinert, dass bei einem relativ milden Rauch die maximale Nikotinaufnahme gewährleistet ist. Denn viel Nikotin im Körper bedeutet jede Menge Raucher, die nicht Schachteln, sondern Stangen kaufen.

Nikotin gilt als das wichtigste Alkaloid im Tabak. Beim Rauchen werden etwa 30% des in der Zigarette enthaltenen Nikotins freigesetzt, wovon wiederum bis zu 95% beim intensiven Inhalieren resorbiert werden. Die Aufnahme der Substanz über die Lunge ist aber kein Kinderspiel. Tabakrauch beißt und kratzt, nur die gewöhnte, abgestumpfte Lunge will mehr davon. Um aber auch die unerfahrenen und damit meist jungen Probierer zum Kioskkunden werden zu lassen setzen die Hersteller auf mehrere Zusatzstoffe, die den schmerzhaften Rauch milder erscheinen lassen. Das zieht vor allem junge Raucher an. Aus den sogenannten „Tabakindustrie-Dokumenten“, deren Herausgabe ein US-Bundesgericht Ende der 90er Jahre erzwang, geht hervor, dass die Fabrikanten der großen, weiten Freiheit aus dem Zigarettenmarkt bewusst einen Kindermarkt gemachten haben. Mit Erfolg, heute beginnen Raucher ihre Karriere zwischen dem 13. und 14. Lebensjahr.

Über die Jahre, so nimmt man an, wurden alle Parameter einer Zigarette so verändert, dass die Nikotinaufnahme maximal, der damit verbundene Inhalationsschmerz aber minimal bleibt. Chemie und Biochemie des modernen Zigarettenrauches sind relativ unerforscht, bisher weiß man nur, dass im Hauptstromrauch über 4800 Substanzen wirbeln. Rund 70 davon gelten als krebserregend oder stehen im Verdacht krebserregend zu wirken. Hierzu zählen vor allem die aromatischen Kohlenwasserstoffe (wie sie auch bei der Verbrennung von Diesel-Kraftstoff auftreten) und Armine sowie die Nitrosamine.

 

Ascher

 

Für die Glimmstengelhersteller ist Nikotin der Stoff ihrer Träume, denn regelmäßig genossen entsteht körperliche und psychische Abhängigkeit. Spätestens seit den 50er Jahren wird zwar jeder Schüler und Erwachsene vom Staat darüber aufgeklärt, dass „Zigaretten süchtig machen“, dem Erfolg der Zigarette tat das lange keinen Abbruch. Um die zunehmend misstrauische Gesellschaft von der Harmlosigkeit der Zigarette zu überzeugen, senkten die Firmen sogar den offiziellen Nikotinanteil im Tabak – wie sich jetzt herausstellte war dies ein Täuschungsmanöver, das auf der Überlistung der Messmethode beruhte. Das Vorgehen der Konzerne war gewitzt: Nikotin kommt im Rauch des Tabaks in zwei Formen vor, als gebundene, säurehaltige Substanz (in Salzform) und als „freies“ Niktotin. Die Messmethoden erfassen allerdings nur das gebundene Nikotin. Durch den Zusatz von Ammoniak, Harnstoff oder Soda in das Tabakgemisch und die Züchtung basischer Tabaksorten veränderten die Hersteller wie Philip Morris (Marlboro) und R.J. Reynolds (Camel, Winston) in den 60er Jahren den Säure-Base-Haushalt hin zu einer mehr basischen Mischung. Ab einem ph-Wert von sechs steigt nämlich der Anteil des freien Nikotins sprunghaft an. In einem internen Dokument schreibt die Firma R. J. Reynolds schon 1973 begeistert: „Dieses wird schneller vom Raucher aufgesogen und dieser nimmt einen deutlichen Nikotinstoß wahr.“

Der Trick bestand also daraus, den pH-Wert der Tabak-Mischung zu erhöhen, was den Nikotingehalt im Rauch erhöht, ohne aber die absolute und messbare Menge an Nikotin in der Mischung zu ändern. Gleiche Menge, höhere Verfügbarkeit für den Raucher – besser konnte es kaum laufen. Das zeigte sich auch an den Umsatzzahlen. Es wird angenommen, dass der Siegeszug der Marke „Marlboro“ auch auf dieses Effekt zurück zu führen ist.

Quälender Qualm

Der Griff in den Chemiekasten geht aber noch weiter. Die Liste der den Tabakhäckseln zugesetzten Mittel umfasst je nach Hersteller bis zu 600 Stoffe. Nur die Beimischungen können bis zu 10 % des Gesamtgewichts einer Zigarette ausmachen, eine Zahl, die von den Herstellern bestritten wird.

Zugemischt, und das geben auch die Hersteller zu, werden fast immer Zucker und Kakao. Zucker karamellisiert während des Verbrennens und sorgt für einen milden Geschmack, dieser sanfte Dunst lässt sich leichter inhalieren. Das Problem: Beim Verbrennen von Zucker entstehen krebserzeugende Aldehyde.

Ebenfalls beliebt im Cocktail ist das kühl schmeckende Menthol. Es findet sich heute nicht nur in Menthol-Zigaretten, sondern in geringen Anteilen in fast allen Fluppen, besitzt es doch lokalanästhetische Eigenschaften. Anders ausgedrückt: es betäubt die Bronchien und macht sie unempfindlicher gegenüber dem quälenden Qualm. Zudem führt das Inhalieren von Menthol zu einer höheren Atemfrequenz, einem erhöhten Atemvolumen sowie einer tieferen Inhalation des Rauches.

Auch das Feuchthaltemittel Propylenglykol ist fast immer enthalten. Es steht im Verdacht bei der Verbrennung gesundheitsschädlich zu wirken, aber genaue Studien hierzu fehlen. Aus dem ebenfalls oft zugesetzten Glycerin entstehen in der Glutzone giftige Epoxide.

Die Liste der giftigen Substanzen lässt sich weiter fortsetzen. Um die Eigenschaften des Tabakrauches genauer zu erforschen hat Verbraucherschutzministerin Renate Künast nun eine Kommission eingesetzt, die dem Wesen des Qualms auf die Schliche kommen soll. Die Überprüfung der toxischen Eigenschaften des Rauches dürfte allerdings bis zu zwei Jahren dauern, wie aus dem Ministerium zu hören ist. Wenngleich es danach kein Reinheitsgebot für Zigaretten geben wird, steht doch zu vermuten, dass diverse Zusatzstoffe verboten werden.

Zigarette

Unter http://www.verbraucherministerium.de steht schon jetzt eine Aufstellung bereit, die für alle Marken und Sorten deren Zusatzsstoffe aufführt. Für wahrliche Aufklärung sorgt dieser Katalog aber nicht, mussten die Hersteller doch nur die Mittel bei der Ministerin vorlegen, die in größerer Menge im Glimmstengel vorkommen. Genaue Mengenangaben fehlen völlig, vieles läuft zaghaft unter „Aroma“. So fehlt die Angabe von Menthol für normale Zigaretten völlig.

Aus dieser Sicht wirken die Bemühungen des Verbraucherschutzministeriums seltsam naiv, verlässt es sich doch vollständig auf die Angaben aus der Industrie. Ein unabhängiges Institut, das die Inhaltsstoffe von Zigaretten regelmäßig überprüft existiert in Deutschland nicht. Die Tabak-Industrie besitzt Hegemonie bei der Analyse des blauen Dunstes.

Der Clou für die Hersteller: Alle der von ihnen zugesetzten Substanzen sind legal, sie stehen in Tabakverordnung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) von 1977. Institutionen wie das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg drängen nun darauf, dass dieses Chemo-Register extrem gekürzt wird, nicht zuletzt deshalb, weil es sich dabei eigentlich um Zusatzstoffe für Lebensmittel handelt. Der Toxikologe Heinz Thielmann vom Krebsforschungszentrum warnt: „Durch die hohen Temperaturen beim Rauchen entstehen daraus neue Substanzen, deren gesundheitliche Risiken fatal sind.“ Aus Sicht der Heidelberger müssen alle Zusatzstoffe, die dazu dienen, das Rauchen zu erleichtern und insbesondere das tiefere Einatmen des Rauches zu ermöglichen, sowie alle Beimischungen, die die Bioverfügbarkeit von Nikotin erhöhen, verboten werden.

Das mag zwar alles helfen die passionierten Rauchern vor allzu groben Eingriffen in ihren Körperhaushalt zu schützen, neben strengeren Kontrollen der Inhaltstoffe von Zigaretten muss es aber auch darum gehen, den Einzelnen zu mehr Selbstverantwortung beim Gebrauch dieser Droge zu führen. Angesichts der Fitness,- Wellness- und Öko-Food-Welle ist es ein weiteres Zeichen für die jedem Menschen offenbar inne wohnende Lust auf abstruse Widersprüche, sich täglich gleich mehrere dieser Chemo-Keulen reinzuziehen. Die massenhaft gerauchte Zigarette ist vielleicht das Symbol schlechthin für den völlig degenerierten Umgang mit psychoaktiven Substanzen in unserer Gesellschaft. Ohne Sinn(lichkeit) und Verstand wandern Verbrennungsprodukte in die äußerst sensiblen Lungen – und schon während des Ausatmens wird auf die Industrie gemotzt, die keine Feinstaubfilter in die Diesel-PKWs einbaut. Und als ob es irgendein Problem lösen würde, greifen immer mehr Konsumenten zur Light-Zigarette, in der Hoffnung auf einen gesundheitlichen Vorteil. Nur langsam besinnen sich starke Raucher darauf, dass es auf dem Zigaretten-Markt auch einige wenige Marken gibt, die keine Beimischungen vornehmen.

Das politische System hat sich weitgehend darauf zurück gezogen mit Hilfe gesundheitlicher Argumente moralisch-symbolische Politik zu betreiben, nicht zuletzt, um die Steuerungsverluste in anderen Sektoren mit restriktiver Innen- und Sicherheitspolitik zu kompensieren. Von der Doppelmoral der nicht zweckgebundenen Tabaksteuer mal ganz abgesehen. Aus Sicht der Tabak-Hersteller ist der an sich gerichtete Vorwurf der steten Perfektionierung ihres Produkts ohnehin absurd – sie richten sich einfach nach den sonst so hochgelobten Marktmechanismen.

Gute Rauchware, mäßig genossen, könnte durchaus ein zu pflegendes Kulturgut sein, sie ist eben mehr als nur ein „Suchtmittel“. Sie kann als Abgrenzungsobjekt gegenüber Eltern, einer hochkontrollierten Gesellschaft oder als Zeichen von Emanzipation wirken, mehr noch, sie kann sogar als Abschussrampe aus dem gewohnten Zeit-Raum-Kontinuum dienen.

Aber die meisten Konsumenten unterwerfen sich dem Diktat einer Massenindustrie, die eine Droge perfekt optimiert hat, ohne über die angewendeten Verfahren noch die benutzten chemischen Zusatzmittel Auskunft geben zu müssen. Bei jedem Hühnerei kann man inzwischen verfolgen, woher es kommt, unter welchen Bedingungen das Tier gelebt hat und – vor allem – welche Inhaltstoffe dieses Ei zum gesunden Nahrungsmittel machen. Bei dem zerhackten und in Papier eingerollten Kraut ist weiterhin unklar, welche Substanzen in welchen Mengen vorhanden sind.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.